Urteile zu Drogen im Verkehr
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsums
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsums
Es erscheint nach Inkrafttreten der neuen fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen zum Cannabiskonsum nicht (mehr) vertretbar, bei regelmäßigem
Konsum allein gestützt auf diesen und auf die bisherige Fassung der Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung, also ohne vorherige Begutachtung, auf eine durch Cannabismissbrauch bedingte Fahrungeeignetheit zu schließen.
(Leitsatz des Gerichts)
OVG Saarland, Beschl. v. 7.8.2024 – 1 B 80/24
Gutachteneignung und sofortiger Führerscheinentzug bei gelegentlichem Cannabis-Konsum
Gutachteneignung und sofortiger Führerscheinentzug bei gelegentlichem Cannabis-Konsum
1. Ein nachgewiesener Konsum von Cannabis gibt der Fahrerlaubnisbehörde keinen genügenden Anlass, generell die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder anderer psychoaktiv wirkender Stoffe begutachten zu lassen. (Rn. 17)
2. Bei gelegentlichem Cannabis-Konsum ist das Trennungsvermögen des Fahrerlaubnisinhabers mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu klären, ein fachärztliches Gutachten ist für diese Frage nicht das geeignete Mittel. (Rn. 19)
VG Gießen (6. Kammer), Beschluss vom 01.03.2022 – 6 L 365/22
Mischkonsum von Alkohol und Medizinalcannabis
VGH München (11. Senat), Beschluss vom 02.05.2023 – 11 CS 23.78
Entziehung der Fahrerlaubnis bei ärztlich verordneter Einnahme von Medizinalcannabis
Kein Alkohol für Cannabispatienten während der Fahrt!
Der Mischkonsum von Medizinalcannabis und Alkohol im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme ist als missbräuchliche Einnahme iSd Anl. 4 Nr. 9.4 FeV anzusehen und führt zur Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Am 2. Februar 2020 gegen 1:30 Uhr kontrollierte die Polizei den Antragsteller als Fahrer eines Kraftfahrzeugs und stellte dabei drogenbedingte Auffälligkeiten fest. Der Antragsteller räumte einen Cannabis-Konsum ein und zeigte auf seinen Namen ausgestellte Rezepte für Medizinalcannabis vor. Ein freiwilliger Atemalkoholtest ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l. Gegenüber der Polizei erklärte der Antragsteller, innerhalb der letzten 24 Stunden zwei Bier à 0,5 l getrunken zu haben. Dem Bericht des Blutentnahmearztes lässt sich entnehmen, dass der Antragsteller Cannabis nach eigenen Angaben zuletzt am 31. Januar 2020 um 20 Uhr konsumiert hat. Die am 2. Februar 2020 um 1:53 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,71 Promille sowie Konzentrationen von 10 ng/ml THC, 3,7 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 37 ng/ml THC-Carbonsäure im Serum/Plasma. Die Tat wurde rechtskräftig als Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 und 2 StVG geahndet.
VGH München stellt neue Richlinien auf
Der VGH München (11. Senat) hat durch Beschluss vom 29.05.2020 (11 CS 19.2441) neue Richtlinien aufgestellt, die für die Frage des Führerscheinentzuges nach einem Drogenkonsum/ - Drogenbesitz und für die Frage der Anordnung eines amtsärztlichen Gutachtens bzw. einer MPU von wesentlicher Bedeutung sind.
1) Der VGH München hat in dem Beschluss festgestellt, dass ein vorgelegtes nachvollziehbares negatives Fahreignungsgutachten für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung eine neue Tatsache mit selbständiger Bedeutung darstellt, für die sich aus der Fahrerlaubnis-Verordnung oder sonstigem innerstaatlichen Recht ein Verwertungsverbot nicht ableiten lässt; einem solchen stünde auch das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 50155 Rn. 24 mwN). Es ist auch nicht erkennbar, weshalb ein Fahreignungsgutachter einen ihm zeitlich nach der persönlichen Untersuchung bekannt gewordenen Sachverhalt bei Erstellung des Gutachtens nicht sollte berücksichtigen dürfen.
Hinweis: Der Rechtsanwalt des Betroffenen hatte ein negatives Gutachten zu den Akten gereicht. Ein eklatanter Fehler, der immer wieder vorkommt. Auch diese Entscheidung macht nochmal deutlich, wie vorsichtig man mit Angaben und Unterlagen gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde sein muss!
2) Der VGH stellte zudem klar, "dass eine Behörde oder ein Gericht grundsätzlich von der Richtigkeit eines rechtskräftigen Strafurteils oder eines dem gleichstehenden rechtskräftigen Strafbefehls und der darin getroffenen Feststellungen ausgehen darf und nicht verpflichtet ist, das Strafverfahren gewissermaßen zu wiederholen, wenn der Betroffene geltend macht, zu Unrecht verurteilt worden zu sein. Etwas anderes gilt allenfalls in Sonderfällen, wenn etwa gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der fraglichen Feststellungen bestehen oder die Behörde ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (stRspr vgl. BVerwG BeckRS 2016, 43615 Rn. 20; BayVGH BeckRS 2019, 2227 Rn. 20 jeweils mwN)."
Hinweis: Das bedeutet für Betroffene, dass genauestens geprüft werden muss, welche Feststellungen in einem Strafverfahren im Urteil oder einem Strafbefehl getroffen werden. Wenn in einem Urteil/Strafbefehl zu unrecht der Konsum von Drogen festgestellt wird, darf die Behörde grundsätzlich auch von Konsum ausgehen, selbst wenn dies nicht zutreffend sein sollte.
3) "Dient die Vorlage eines Fahreignungsgutachtens der Klärung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat, ist die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. Den Eignungszweifeln ist in diesem Fall zur Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer so zeitnah wie möglich durch die gesetzlich vorgegebenen Aufklärungsmaßnahmen nachzugehen (vgl. BayVGH BeckRS 2019, 2227 Rn. 26 mwN). Steht das Fehlen der Fahreignung - insbesondere bei Mängeln nach Anlage 4 der FeV - zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, darf diese auch nicht mehr zuwarten, sondern hat die Fahrerlaubnis zu entziehen."
Hinweis: Der Betroffene hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte längere Frist, damit er z.B. eine Abstinenz nachweisen kann. Umso wichtiger ist es möglichst frühzeitig, den Betroffenen die notwendige Zeit zu verschaffen, damit die dann gesetzte meist zu kurze Frist der Fahrerlaubnisbehörde ausreicht!